Penelope - Rifail Ajdarpasic & Ariane Isabell Unfried

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Fotos: Barbara Aumüller & Rifail Ajdarpasic
PRESSE | REVIEWS
Betörend stark und kühn: Gabriel Faurés Poème lyrique „Pénélope“ als Erstaufführung der Frankfurter Oper.
Manche Operninszenierungen muss man vom Ende her erzählen. Warum schauen sich im Schlussbild von Gabriel Faurés Poème lyrique „Pénélope“, das jetzt seine späte Frankfurter Erstaufführung erfuhr, die Titelheldin und ihr schließlich heimgekehrter Gatte Ulysses kaum an? Weshalb geben sie sich die Hand wie zwei Fremde, die zögernd beschlossen haben, irgendwann ein Paar zu werden, aber nicht unbedingt jetzt? Nach schier endlosen Jahren des Ausharrens und Hoffens, des Zweifelns wie des Verzweifelns fallen sich die in Ithaka standhaft Wartende und der irrlichternde Trojanische Held nicht in die Arme, verschlingen sich nicht in einer mit Vehemenz zur Schau gestellten Sinnlichkeit. „Gloire à Zeus“ singen sie im Duett: „Gloire à Zeus qui nous rassemble.“ Einem Gott huldigen sie, der sie wieder zusammengebracht haben soll, wo er doch in der ganzen Oper buchstäblich keine Rolle spielte. Ulysses verlässt die Szene, sang- und fast auch klanglos. Pénélope bleibt zurück, aufrecht stehend wie eine Statue auf einer Klippe hoch über dem Ägäischen Meer und gleich danach in sich versunken, auf eine schäbige Mauer gestützt, dem Opernpublikum den Rücken kehrend. Vorhang.
Es ist wahrlich keine heldische Szene, die die Regisseurin Corinna Tetzel für das Ende dieser mythischen Erzählung des Homer fand. Und doch befindet sie sich damit im Einklang mit den Intentionen des Komponisten, der die Antike liebte und die heroischen Gesten verabscheute. Mehr noch: Die kluge Regisseurin beschreibt etwas, was jenseits aller sagenhaften Kunstsphäre psychologisch vollkommen plausibel erscheint. In all den Jahren ist man sich fremd geworden, hat die nicht ausgelebte Sinnlichkeit in Übersinnlichkeit verwandelt, die noch nicht einmal mehr an Körperlichkeit erinnert, geschweige denn ihre Befriedigung fordert. Zudem gibt es für Pénélope, die in ihrer Verletzlichkeit so starke Frau, in dieser maskulin dominierten Welt kaum einen Grund, irgendwelchen breiten Schultern zu vertrauen. Dafür haben all die Freier um Pénélope herum die Gunst der Abwesenheit von Ulysses allzu sehr ausgenutzt. Sie sind wahrlich kein Ruhmesblatt für ihre Spezies, ein Haufen aristokratischer Flegel eher, denen man ob ihrer Arroganz, ihrer rüden Frauenverachtung und ihres Mangels an Sensibilität, nicht zuletzt ihrer unverschämten Selbstüberschätzung wegen nur die Pest an den Hals wünschen möchte. (...)
Die mit viel psychologischem Einfühlungsvermögen geführte Personenregie – und das ist eine selten so auf der Opernbühne anzutreffende Qualität – findet ihre harmonische Ergänzung in allen Parametern der Aufführung, auch in den typisierenden Kostümen von Raphaela Rose: gelbe Gewänder unbestimmter Provenienz für die Dienerinnen – moderne Yuppie-Outfits – für die Freier, abwechselnd Hosenanzug, Leichentuch und stilisiertes Hochzeitskleid für Pénélope. Der in Frankfurt schon mehrfach mit phantasievollen Bühnenbildern hervorgetretene Rifail Ajdarpasic lässt das Geschehen in allen drei Akten auf einer modernen Dachterrassenschräge spielen, bei der die kargen Accessoires wie antike Artefakte ins Gesamtkonzept passen. Zudem wird dieses Podest von diversen Quadraten und Rechtecken umrahmt und gestaltet, die der Szene etwas abstrakt Ästhetisches verleihen, als werde hier die Unwirklichkeit des antiken Dramas in eine Geometrie der Träume übersetzt.
Das alles fügt sich auf ideale Weise zur Musik Gabriel Faurés, dessen Gesangslinien sich aus den Farbwerten des Orchesters entwickeln, als sei das vokale Melos nur eine Variante des instrumentalen Ausdrucks. So muss es auch den Protagonisten erscheinen, als würden sie von einer schwebenden Harmonie zur anderen getragen, allen voran der blühende Sopran von Paula Murrihy, gleichstark in ihrer Bühnenpräsenz wie in den subtilen Valeurs ihrer Titelrolle. Ähnliches gilt für Eric Laporte bei seinem Frankfurt-Debüt als Ulysses, dessen jugendlich strahlender Tenor bisweilen vergessen macht, welch gebrochenes Alter seine Rolle vorschreibt.
(...) Ein wahres Klangwunder drang dazu aus dem Orchestergraben. Die Dirigentin Joana Mallwitz am Pult des hochmotivierten Opernorchesters schuf einen Klanggrund, wie ihn sich auch ein Fauré nicht besser vorgestellt haben kann: eine weiträumige Architektur, zarte Klangfarben, ebenmäßige Strukturen mit ausbalanciertem Orchestersatz und Klarheit der Phrasierung. Es ist der apollinische Klang, der Fauré einen eigenständigen Platz neben Strauss und Debussy sichert und nur bedauern lässt, dass ein solches Opernjuwel so selten auf die Bühne kommt. Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)

Wie Odysseus umschiffen sie alle Klippen der Versuchung: Gabriel Faurés einzige Oper zeigt sich in Frankfurt in szenisch und musikalisch glänzender Verfassung.
Eines der ersten hohen Paare der abendländischen Kultur sind Odysseus und Penelope, Herrscher von Ithaka, die nach 20-jähriger Trennung durch den Trojanischen Krieg wieder zusammenkommen. Der Mann – zehn Jahre kämpfend vor Troja und danach zehn Jahre auf Irrfahrt zurück in die Heimat. Die Frau derweil mit dem Sohn gemeinsam den Königshof haltend. Der eine allen Versuchungen von Sirenen oder Kirke widerstehend. Die andere den adeligen Freiern der umliegenden Länder die Stirn bietend, die sich im Palast mit Heiratsabsichten gegenüber der als Witwe geltenden Königin breitgemacht und ihn ausgeplündert haben. Ein Ehepaar getrennt an zwei Fronten und nicht kleinzukriegen. Listenreich genug, um sich gegen die Bedrängung zu wehren, sind sie beide: Ausreden und Hinhalten, das ist ihre Taktik.
Gabriel Fauré (1845-1924), der Komponist eher kleinerer Formen im Spannungsfeld von Impressionismus und wagnerischer Klang-Hegemonie, hat sich für seine einzige Oper „Pénélope“ die „Odyssee“ gewählt und seiner reduzierenden Gestaltung unterzogen. Es geht, im Libretto René Fauchois’, lediglich um das finale Wiedersehen der beiden so lange getrennten Eheleute, wie es Homer in den Gesängen 18 bis 24 seines Werks beschrieben hat. Eine moderne Verknappung und Konzentration: die Oper umfasst die letzten zwei Tage am Hof von Ithaka, wobei im Libretto noch die Figur des Prinzen Telemachos gestrichen ist.
Penelopes Widerstand wird gespeist von der Hoffnung auf die Wiederkunft ihres Gatten: eine Hoffnung und ein Warten gegen alle Vernunft, aber offensichtlich Haltung gebend. Verbunden mit hinhaltender List – ständig webt sie am Totenhemd des Schwiegervaters Laërtes, jede Nacht löst sie das Geschaffene wieder auf, um einer Neuvermählung auszuweichen. Der zurückkehrende Odysseus in der Rolle des Bettlers täuscht alle, um sein Rachewerk und die Befreiung von Gattin und Hof organisieren zu können. (...)
Eine Art zweistündige Momentaufnahme in einer Atmosphäre, die aus reich getönten Klangbildungen einer eher langsamen Gangart mit akkordischen Vagheiten und einigen markanten Leitmotiven besteht. Ein ständiges Verweben und wieder Auflösen musikalischer Textur, die durchaus eingängig, aber nicht süffig oder grell, dabei weich und anschmiegsam ist. Ein musikalisches Gewebe gleich jenem, an dem Penelope sich festhält. Eine Penelope-Musik also, in der ihr eigenes klangliches Monogramm die Umkehrung des Odysseus’schen ist, das sich wiederum aus einem diffusen Bereich bis zu einem markanten Quintsprung steigern kann. Öfters muss man an Debussys Oper „Pelléas et Mélisande“ denken, aber auch an die gleichnamige Bühnenmusik, die Fauré selber bereits 1898 schrieb: schwermütig, sanft lastend, wenig Helle und Aussicht gewährend.
In Frankfurt hatte das bedeutende Werk von 1913 jetzt, 17 Jahre nach seiner deutschen Erstaufführung in Chemnitz, Premiere in einer grandiosen Darstellung durch Corinna Tetzel, die dem knappen, auf den Kern reduzierten Ansatz Faurés völlig gerecht wird. Ein begehbares Dach eines größeren Gebäudes ist der treffliche Spielort (Bühne: Rifail Ajdarpasic). Hier versammeln sich die in zeitgenössischem Business-Dress gekleideten Freier mit ihrem weiblichen Escort-Anhang in safrangelber Wellness-Dienstkleidung. Die Königin ebenfalls ganz geschäftsmäßig im Business-Look, unter dem sie das Totenhemd ihres hinhaltenden Wartens trägt. Ausdruck ihrer Verschlossenheit, aber auch ihrer Selbstbewahrung. Einmal wird sie, als sie von ihren Hoffnungen spricht, sich ein Ballkleid umwinden, das dann wie ein größeres Totenhemd wirkt (Kostüme: Raphaela Rose).
Corinna Tetzel hat in der Bebilderung, gleich einem regielichen Odysseus, alle Klippen der Versuchung tagesaktuellen Mitläufertums souverän umschifft. Nichts lenkt von der Musik ab. Die Video-Zusätze Bibi Abels haben stimmungshaften, raum- und zeitfokussierenden Charakter. (...).
Der Augenblick im schon beginnenden Kampfgetümmel, als die Eheleute sich erkennen und nahekommen, ist in Verbindung mit der kurz aufrauschenden Musik schlichtweg überwältigend. Dass Tempofragen nicht allein solche der Musik, sondern auch der Personenführung sind – hier wird’s Ereignis. Und der Mut, Sänger minutenlang nicht zu bewegen und sie damit aus dem Korsett aktivistischer Scheinhaftigkeit zu entlassen, war dem Beharrungsvermögen der Titelpartie ebenbürtig. (...)
Transparenz und eine nicht zu bedeckte, eher hell timbrierte Darstellung waren Kennzeichen der musikalischen Leitung Joana Mallwitz’. Die schwebende bis schwimmende, jedenfalls changierende Dimension des Fauré-Klangs trat nicht zu sehr in den Vordergrund. Chor und Orchester wirkten bestens präpariert.Frankfurter Rundschau

(...) Erst 2002 war die 1913 in Monte-Carlo uraufgeführte „Pénélope“ in Chemnitz erstmals in Deutschland zu sehen, zuletzt gab es sie 2015 in Straßburg. Dabei gelingt hier, handlungsmäßig reduziert, sogar Sohn Telemach wird unterschlagen, ein weiteres einfühlsames Fin-du-Siècle-Frauenporträt. Obwohl die zurückgelassene, pflichtschuldige Gattin kein Symbolwesen ist, sondern beständig erklärt, rechtfertigt und von ihren Gefühlen erzählt.
Nicht nur die anfängliche Mägde-Szene erinnert an die Straussche „Elektra“, auch hier muss eine warten, und erkennt das Objekt ihres Ausharrens zunächst nicht. Zu viel Zeit ist vergangen, Gefühle haben sich verändert, bei beiden Partnern. Der da jetzt da ist, scheint nicht mehr der, auf den Penelope gewartet hat. Insofern ist der der zurückhaltend-sensitive Fauré sehr modern, weil hier am Ende eben kein Beethoven-Hohelied der Gattenliebe steht.
Corinna Tetzel geht freilich noch weiter, und lässt Penelope wie traumatisiert, einer erstarrten Giorgio-de-Chirico-Figur gleich, metaphysisch entrückt und abgewandt auf einem Mäuerchen sitzend erstarren während Odysseus in einem sich auftuenden Mauerspalt verschwindet. Diese Ehe ist, obwohl wiedervereint, ganz offenbar am bitteren Ende. Und für diese Penelope, für deren banges Warten, aber fast schon ergebenes Resignieren, passt der ein wenig unruhige Mezzo von Paula Murrihy sehr gut. Zudem muss er sich immer ein wenig größenmäßig nach der Decke des eben doch spätromantisch aufrauschenden Orchester strecken. Obwohl das von Joana Mallwitz bestens, dabei fein sich verästelnd in Zucht und Zaum gehalten wird.
Der straffe Zugriff erlaubt freilich kitschfreies Parfüm, beherzt gleitet die Partitur fluide voran, besonders schön spinnen sich die bukolischen Holzbläser-Melismen des Vorspiels zum zweiten Akt. Die Dirigentin ist freilich immer sehr da und präsent, selbst wenn der sogar mit Leitmotiven spielende Komponist sich klein macht. So haben diese zwei Stunden Spielzeiten einen starke Präsenz, einen schönen Flow, auch weil die nüchterne Inszenierung überraschungsfrei bleibt. Die findet auf einer natursteinverkleideten Dachterrasse von Rifail Ajdarpasic statt. Ithaka ist nach wie vor ein lieblicher, aber – siehe rostige Satellitenschüssel – verwahrlosender Ort. Hinten stehen immergrüne Bäume, nur der seltsame Ausguck nach draußen ins Nichts des weißen Rauschens verweist auf eine schwarze Gruft, in der das alles angesiedelt sein könnte. Das nach oben entschwebende Dach erinnert fast an das der neuen griechischen Nationaloper. Auf ein paar Schleiern gemahnen Videostills von Penelope und Odysseus an das hier Abgehandelte. Nur langsam setzt sich das Licht der Erkenntnis durch Erkennen durch.
Eine heutige Partygesellschaft in schwarzen Anzug geben die verbliebenen fünf namentlich bekannten Freier, die immer mehr die modernistische Einrichtung verwüsten. Schick gelb sind die Dienerinnen, schwarz und verhärmt, ebenfalls im Anzug Penelope und ihr Gefolge, darunter die pastose Joanna Matulewicz als Amme Euryclée; grauhaarig und -kleidrig schließlich schlurfen die aschig erloschenen Männer heran, der vertraute Hirte Eumée (Bozidar Smiljanic) wie Odysseus, ein Opfer des Krieges und Moderns auch er. Dem freilich Eric Laporte kräftig tenorale, dabei schlanke Durchschlagkraft verleiht. Am Ende ist das Morden in ein tieferes Geschoss verlegt, dafür gab es zum Anfang des zweiten Aktes noch ein Hoffnung machendes Intermezzo mit dem jugendlichen Hirten als rächendem Amor, der bereitgestellte Flaschen mit Pfeilen oder Blumen zu füllen waren. Die Blumen überwogen, am Ende aber die Pfeile. Die Welt

Geglückte Schatzsuche: Die Oper Frankfurt holt Gabriel Faurés «Pénélope» aus der Versenkung, in einer vorzüglichen Inszenierung von Corinna Tetzel und dem in großen Bögen atmenden Dirigat von Joana Mallwitz. (...)
Zur Hauptfigur wurde Penelope in Gabriel Faurés Oper (1913), die selbst Kenner kaum einmal auf der Bühne erlebt haben. Dass sie so rar geblieben ist, hängt zum einen an Faurés Personalstil, fabelhafter Klavier- und Kammermusik, überaus suggestiven Liedern; großorchestraler Aufschwung, gar Opern-Aplomb, waren seine Sache weniger. (...)
Ob es mit Musik als «Zeit-Kunst» zu tun hat? Nicht wenige Opern kreisen um das «Warten», das bei Wagner fast immer eine zentrale Rolle spielt. Auch Faurés Pénélope hält unbeirrbar an ihrem utopischen Auftrag fest: einzig an den verschwundenen Odysseus zu denken, ihn herbeizuimaginieren. Ist das wahre, übergroße Liebe? Oder gilt sie nach all den Jahren letzlich einem Phantom, hybrid idealisiertem Erinnerungs-Kult. Denn auch wenn zu guter Letzt alle «Gloire à Zeus!» jauchzen, behält Faurés Musik bei aller samtenene Pracht ihren gleichsam gedeckten Ton. Sein C-Dur beschließt ein poème lyrique, nicht die pompöse Haupt- und Staatsaktion: Da die Götter hier nicht in Erscheinung treten, müssen sie auch nicht als Strahlemänner affirmativ in Klang-Positur gebracht werden.
Dass die seit jeher innovationsfreudige Frankfurter Oper erst jetzt «Pénélope» bringt, ist eigentlich verwunderlich. Doch die vorzügliche Aufführung lässt auch erkennen, wie gründlich das Werk durchdacht und erarbeitet wurde. Verlegenheitslösungen jedenfalls waren kaum zu entdecken. Eine Styropor-Antike hätte denn auch hier keiner erwartet. Die Regisseurin Corinna Tetzel und der Bühnengestalter Rifail Ajdarpasic haben sich für ein schick-heutiges Ambiente entschieden, einen sparsam möblierten Einheitsraum mit Dachterassen-Anmutung für die rüde, schwarz gestylt aufdrehende Freier-Riege, die den gelb gewandeten Dienerinnen heftig zusetzt, auch wenn diese ihren Avancen nicht abgeneigt sind. Der Doppel-Charakter der Machos, halb Galan, halb Brutalo ist plastisch getroffen. Penelope glaubt man hier die emanzipierte moderne Frau im schwarzen Hosenanzug, die mehr in ihren Sehnsuchts-Träumen als in der sie bedrängenden Männer-Welt lebt. Die aber doch ihre Erotik nicht immer verdrängen kann. So konkret vieles ist, so wird doch auf manchen Realismus verzichtet: Bogen-Probe und Massaker werden eher durch die Aura des Über-Helden als durch Aktion motiviert. Dass sich über der Bühne Leucht-Rechtecke verschieben, lässt auf Gleichnischarakter schließen: Das Ganze auch ein Spiel mit Bedeutungen. Dazu passt der Rätsel-Schluss: kein innig emphatisches Liebesduett, sondern ratloses Auseinander-Vorbeileben. Odysseus geht quasi in den Keller ab, Penelope bleibt oben, mit dem Rücken zum Publikum, auf der Mauer sitzen: Endlich erlangtes Glück der Zweisamkeit sähe anders aus. Die ganz und gar überlebensgroßen Charaktere sind eben doch nicht von dieser Welt. (...)
Joana Mallwitz frappierte im Gegenteil durch schlanke Großbogigkeit, die genauso zu Fauré gehört wie die feine Balance zwischen Stimme und Klavier. Im quasi fortschrittlichen Koservatismus erinnert Faurés Position manchmal fast ein wenig an Brahms. Auch diese Erfahrung ließ sich machen bei der Begegnung mit dieser «Pénélope». Das Warten hat sich gelohnt. Opernwelt

Was am Ende passiert, ist ganz großes Opernkino. Wenn Pénélope ihren Mann endlich erkennt, ihre zudringlichen Freier los ist und der zurückgekehrte Hausherr seine Rache so blutig wie kalt serviert hat. Es liegt auf der Hand, dass die Beziehungsprobleme für das prominente Paar jetzt erst anfangen. Da kann Fauré das Orchester für das Finale seiner einzigen, 1913 in Monte Carlo uraufgeführten Oper noch so gewaltig mit dem dickem cineastischen Pinsel auftragen lassen. Dass dieses ausufernde Finale von Ferne an den Einzug der Götter in Wahlhall am Ende des Rheingolds erinnert, ist gar nicht so abwegig, auch da ist der Triumph ja brüchig und birgt schon den Keim des Scheiterns.
Pénélope jedenfalls hat zwanzig ihrer besten Jahre mit Warten auf ihren Mann zugebracht. Der war erst zehn Jahre im kriegerischen Auslandseinsatz vor Troja und kam dann noch einmal weitere zehn Jahre vom rechten Heimweg nach Ithaka ab. Irgendwie schien er daheim für (fast) alle Welt verschollen. Eine Handvoll gierig penetranter Freier war scharf auf sein Erbe. Jeder von denen wollte die vermeintliche Witwe heiraten, damit er an den Thron herankam. Bis dahin verprassten sie in schöner Eintracht schon mal so viel wie möglich davon.
Für Pénélope nahm das Warten und das listige Hinhalten der Freier längst den zentralen Platz in ihrem Leben ein, den vorher Ulysse hatte. Vor zwanzig Jahren hatte sie keine Wahl, und jetzt wohl keine echte Chance für einen Neuanfang. Eine Beziehung mag sich schon schwierig gestalten, wenn sie sich aufs Wochenende beschränkt. Aber mit zwanzig Jahren Abwesenheit ist es keine mehr.
In seinem Libretto für Gabriel Faurés (1845-1924) späten Versuch mit der Gattung Oper hat René Fauchois bei seinem Homer-Destillat die göttliche Mitwirkung von Athene und auch den Odysseus-Sprössling Telemach weggelassen. Das vereinfacht den berühmten historischen Plot und erlaubt es, den Focus stärker auf die allein gelassene Frau zu konzentrierten. Macht das Ganze dem Aufspüren von heute Relevantem zugänglicher. Natürlich nicht eins zu eins als Geschichte von nebenan. Eher als ein Laborversuch. Als musikalische Komponente zu Botho Strauss’ viel später geradezu ausgemaltem „Ithaka“.
Genau da setzen die junge Regisseurin Corinna Tetzel und ihr Team (Bühne: Rifail Ajdarpasic, Kostüme: Raphaela Rose) an. In ihren grauen, nur leicht variierten Business-Anzügen kreuzen die Freier wie junge Bad-Banker in Mainhattan auf und benehmen sich wie bei einer außer Kontrolle geratenden Afterwork-Party. Äußerlich hat sich die eigentliche, von den Fremden gleichwohl nicht mehr respektvoll behandelte Chefin deren Outfit angepasst. Wohl, um einzelne Attacken abzuwehren und der Dauerbelagerung auf einer vermeintlichen Augenhöhe standzuhalten. (...)  
Die Bühne mit dem absenkbaren Neonrahmen als Himmel, der transparenten vierten Wand, der Spielfläche auf der tristen Dachterrasse mit Parabolantenne und zwei Auf- bzw. Abgängen und einer schrägen Projektionswand im Hintergrund, die zuweilen die einsame Königin ohne ihre Belagerer zeigt, ist eine eindrucksvolle Melange aus exemplarischer Zeitlosigkeit und antiker Archaik. (...)
Die Regisseurin erspart uns das Hantieren mit dem sagenhaften Bogen, den nur sein Besitzer (auch zwanzig Jahre gealtert ohne Probleme) zu spannen vermag, ebenso wie das Blutbad, in dem die Freier enden. Hier schwankt zunächst der Boden, bevor sich ein metaphorischer Riss (in der Dachterrasse) auftut.
(...) Immerhin setzt die Regie voll auf die Wirkung der Musik. Die ist bei der Dirigentin des Jahres und GMD der Oper Nürnberg Joana Mallwitz und den Musikern des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters in den allerbesten Händen. (...) Das fabelhafte Protagonisten-Ensemble wird von der sich sicher beredt aufschwingenden Paula Murrihy als Pénélope und dem Tenorstrahlemann Eric Laporte als Ulysse überzeugend angeführt und mitgerissen. Auch wenn für die beiden, denkt man die Geschichte weiter, die Probleme erst beginnen. Die Deutsche Bühne

Vielleicht hat es diese Oper so schwer, weil sie sich nicht zum Angeben eignet. Mehrere Male wäre Gabriel Faurés Pénélope fast vergessen worden, das erste Mal gleich nach der Uraufführung 1913. Kein Wunder: Es gibt keine Arien und kaum Bravourstellen, auch keine Melodien, die sich in der Hirnrinde festsetzen. Stattdessen: fein verästelte Psychogramme der Figuren, mit klug verwobenen Leitmotiven und Resonanzraum nicht nur für die großen Gefühle. Pénélope ist mit dem ganz dünnen Pinsel komponiert. Im Opernbetrieb aber setzt sich leichter der durch, der den dicksten Pinsel hat.
Auch die Handlung bleibt sehr leise. Pénélope erzählt das Ende der Odyssee, des größten Heldenepos aller Zeiten, jedoch nicht vom Helden selbst, sondern von seiner Frau, die zu Hause in Ithaka auf ihn wartet. Zwanzig Jahre lang, zunehmend bedrängt von einer Horde Rüpel, die auch gern König von Ithaka wären. Bis Odysseus – französisch Ulysse – dann schließlich auftaucht und die Herren erledigt. Dennoch zeichnen Fauré und sein Librettist René Fauchois Pénélope nicht als Opferfigur, die nur auf die finale Rettung wartet. Sondern als Königin, die sich zu behaupten und aller Übergriffe durchaus zu erwehren weiß.
Außer der Hauptfigur und der Musik ist leider alles eher einfach gestrickt, alle Personen, die die Handlung im Original interessant machen, hat der Textdichter gestrichen, eine Nebenhandlung gibt es nicht. Und bei aller Psychologie: So richtig interessant ist eine Oper, in der eine Frau drei Akte lang darauf wartet, dass ihr Mann nach Hause kommt, dann eben doch nicht.
Schwierige Sache also. Eine Bewährungsprobe, an der man fast nur scheitern kann. So ein Stück legt man als Intendant gern in weibliche Hände.
Schon bei der deutschen Erstaufführung in Chemnitz 2002 inszenierte eine Frau, jetzt in Frankfurt, bei der einzigen weiteren Produktion im deutschsprachigen Raum, ist (außer dem Bühnenbildner) das ganze Produktionsteam weiblich.
Die Regisseurin Corinna Tetzel rettet die Sache vor allem, indem sie sich mit den vielen uninteressanten Details nicht weiter aufhält und ganz auf die Mezzosopranistin Paula Murrihy in der Titelrolle setzt. Murrihy macht aus dem Abend eine Charakterstudie Pénélopes, sie singt und agiert in edler Einfalt und stiller Größe, nahezu unbewegt von den Gefühlsanwallungen aus dem Orchestergraben, sie zeichnet einen Charakter, der auf die harte Tour gelernt hat, skeptisch zu sein, auch gegen das eigene Sehnen und Begehren. (...) In Frankfurt tritt der Held nicht mit angeklebtem Bart auf, sondern ganz ohne Maske: Er ist alt geworden, und das nicht zu seinem Vorteil. Den daraus erwachsenden Konflikt erkennt Tetzel als den wahren Kern des Stücks: Pénélope vermisst Ulysse auch noch, als er längst wieder da ist. Auf den, der da zurückkommt, hat sie nicht gewartet.
Sehen kann man diese Nöte nicht. Aber man kann sie hören – und dies ist das Verdienst von Joana Mallwitz am Pult, die sich die Partitur mit großer Gründlichkeit zu eigen gemacht hat und mit dem Orchester, das an vielen Stellen so fein klingt, als wäre es ein zu groß geratenes Streichquartett, in allen Schattierungen auslotet.
Das zeigt sich nicht nur, aber vor allem im Finale. Es ist spektakulär angelegt: Um ihre Tauglichkeit zu beweisen, müssen die Männer mit Ulysses Bogen einen Pfeil durch zwölf Axtringe schießen; wem das gelingt, dem soll Pénélope gehören. Man kann sich ausmalen, wie ein solcher Showdown bei Rossini, Berlioz oder Wagner klänge. Es liegt aber ohnehin auf der Hand, wie die Sache ausgeht, also verzichtet Fauré auf alles Getöse und legt in den Noten lieber Pénélopes Seele offen. Und zum Glück verzichtet folgerichtig auch die Regisseurin auf alles Kampfgetümmel, das das Textbuch vorschreibt – und überlässt den Sieg der Dirigentin. Der Abend erzählt somit nicht nur eine Heldinnengeschichte, er ist selbst eine. (...) Die Zeit

Wer, so fragt Pénélope den abgerissenen Alten, in dem sie, obwohl sie etwas ahnt, noch nicht ihren 20 Jahre lang verschollenen Mann Ulysse erkannt hat, wer also wäre so wie Ulysse damals war: so stark, so schön, überwältigend, so wundervoll, so grandios, so sexbesessenen und ihr so hörig? Ulysse, in Deutschland als Odysseus bekannt, hört wehmütig, was er damals beim Abschied seiner noch nicht zwanzigjährigen Frau bedeutete und was er für sie trotz 20 Jahren Abwesenheit geblieben ist. Er hört aber auch die Anklage aus den Schwärmereien heraus, die Gabriel Fauré im zentralen Liebesduett seiner vor 106 Jahren erstaufgeführten Oper "Pénélope" konsequent vertont hat.
Das kaum gespielte Stück ist eine trauernde Abrechnung mit den mythischen Schrecknissen des Trojanischen Krieges und zugleich Ahnung des heraufdämmernden Ersten Weltkriegs. Keiner von Faurés Klängen wagt sich aus dem Dunkel heraus, dem Sinistren, Zer- und Gestörten. Hier tröstet nichts, schon gleich gar nicht diese schrundig und genau kalkulierte Musik. Sie ist aberwitzige Konstruktion aus Zweigruppen - Töne wie Klänge-, die sie zum Sonderling unter den Opern macht, zum direkten und einzigen Vorläufer des nur zwölf Jahre später erstaufgeführten "Wozzeck" von Alban Berg. Nichts darf sich verströmen oder frei fließen, weil alle Gefühle und alle Existenzen versehrt und amputiert sind vom Krieg.
Diese "Pénélope" ist das Gegenstück zu Faurés berühmterem Requiem, aber sie ist noch dunkler, unerbittlicher, illusionsloser als dieses. All das Kummergebeugte kommt nie mit existenzieller Wucht oder einem Verzweiflungsschrei daher. Fauré ist der Großmeister der Andeutung, einer, dem atmosphärische Andeutungen genügen, um Abgründe aufzutun. Das ist in seinen vielen und immer überwältigenden Liedern so, genauso in seiner Kammer- und Klaviermusik. Deshalb wird Fauré in Deutschland nicht einmal unter-, sondern eigentlich gar nicht geschätzt. Weil er darauf verzichtet, den Hörern das Leid lautstark um die Ohren zu hauen.
Die derzeit als Wunder bejubelte Dirigentin Ioana Mallwitz lässt diese durchkonstruierte und sich konsequent dem großen Gefühl verweigernde Musik ganz natürlich aus dem Orchestergraben des Frankfurter Opernhauses aufsteigen. Sie formt den Klang weich, flexibel, feingliedrig, sie lässt die Musik atmen, sich ausbreiten, zusammenziehen, verkriechen. Dieser Klang ist voll einem pochenden Leben, das sich nie frei äußern darf, er malt alles das hin, was im Unbewussten der Titelheldin umgeht. (...)
Regisseurin Corinna Tetzel lässt das alles auf einer kargen Dachterrasse unter einem südlichen Nachthimmel spielen, durch zwei Auslässe kommen und gehen die Freier, die Dienerinnen, die Hirten, Ulysses, Pénélope. Die Regie bleibt genau am Libretto, sie leistet sich keine darüber hinausgehenden Zusatzeinfälle. Aber gerade deshalb drängen sich etliche Fragen an das Stück auf. Wen liebt Pénélope? Ist es wirklich der real auf der Bühne präsente Ulysse, den sie beschreibt? Dass Ulysse auf diese Beschreibungen zunehmend irritiert reagiert, lässt ahnen, dass er vor 20 Jahren doch ein ganz ein anderer war. Oder dass Pénélope die Erinnerung verklärt. Nächste Frage: Verdienen die Freier, die Pénélope bedrängen, wirklich den Tod? Gäbe es da keine andere Lösung? Durch den Massenmord an den Freiern jedenfalls wird die 20 Jahre lang kaltgestellt Liebe zwischen Pénélope und Ulysse mit einer weiteren, schweren Hypothek belastet.
So steht die Protagonistin zuletzt allein und sehr einsam da. Regisseurin Corinna Tetzel widersteht der Versuchung, diese Heldin der Einsamkeit einfach Selbstmord begehen zu lassen. Das wäre nur konsequent, es stünde sehr wohl mit dem Stück und seiner Musik im Einklang, die nirgendwo eine freudige Erwartung oder einen Zukunftsoptimismus erkennen lässt. Tetzel lässt Pénélope einfach stehen und weiterhin ihrem unrealistischen Liebestraum nachhängen. Das aber ist noch ein Stück bitterer, als es ein Selbstmord wäre. Und Fauré spinnt dazu weitere Kaskaden des Unheils. SZ-Süddeutsche Zeitung

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Beside our common projects we are also working separately as set designer and as costume designer.
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© RIFAIL AJDARPASIC & ARIANE ISABELL UNFRIED
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